"Statt Gottesdienst"

Gedanken zum dritten Sonntag nach Ostern

von Pfarrer Andreas Menzel

Freude über einen unerwarteten Gottesdienst

Wo ist die Kirche eigentlich zur Zeit?

Abgetaucht?
Geschlossen?
Zum Glück nicht.
Offene Kirchen gibt es.
Dreimal in der Woche sind auch die Portale unserer Lutherkirche geöffnet.

Aber was ist mit den Gottesdiensten – wann geht es endlich wieder los?,
fragt der eine oder andere.
Nun, das ist gar nicht so einfach, Gottesdienste unter den vorgegebenen notwendigen Schutzbestimmungen zu feiern.
Ich hoffe und wünsche, dass wir schöne, kreative Wege finden, um wieder Gottesdienst zu feiern.
Wann und wo und wie auch immer …

In den letzten Wochen machen viele Christen eine erstaunliche Erfahrung: Gottesdienst feiern kann man nicht nur zur klassischen Uhrzeit sonntags um 10 Uhr. Auch zu anderen Zeiten – schließlich gibt es die Online-Gottesdienste im Internet ja auch noch später. Das ist praktisch. Gottesdienste erleben Menschen aber nicht nur hier im Internet oder im Fernsehen an den Bildschirmen.

Was geschieht eigentlich im Gottesdienst? Kurz und knapp auf den Punkt gebracht würde ich sagen:

Im Gottesdienst komme ich in Kontakt mit der Botschaft des Glaubens, werde davon hoffentlich angerührt und gehe bewegt, verändert zurück in mein „normales“ Leben. Das kann sich an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten ereignen.

Vorgestern zum Beispiel.
Ich habe aber erst im Nachhinein realisiert, dass mein Erlebnis durchaus ein Gottesdienst war.

Es war auf einer Fahrradrunde mit der Familie durch Bochum, ohne festes Ziel. Der Weg ist das Ziel, sagte meine Frau auf die Frage, wo fahren wir eigentlich hin. Also ohne Eile und ohne Navi einfach der Nase nach. An der rauschenden Autobahn entlang und durch verschlafen wirkende Siedlungen. Auch eine Sackgasse in einem wenig einladenden Industriegebiet war dabei. Wir radelten entspannt durch unser vertrautes Bochum und landeten zum gefühlt hundertsten Mal im Westpark. Nichts Neues hier, nichts Spektakuläres, dachte ich beim Anblick der weitläufigen Parkflächen mit den monumentalen Industriegebäuden - schon gar nicht an diesem coronageprägten 1. Mai.

Auf einmal standen wir vor dem großen zylinderförmigen Stahlbehälter hinter der Jahrhunderthalle. Seit der Ruhrtriennale 2018 ist dort eine Kunstinstallation. Optisch ein auffälliger Hingucker, und so habe ich das Kunstwerk erstmal von allen Seiten fotografiert. Viel Text in drei Sprachen, deutsch, englisch und einer mir unbekannten Sprache. Hinterher las ich, dass es sich dabei um Romani handelt. Das ist eine Sprache, die eine große Minderheit repräsentiert und für eine der frühesten migrantischen Gruppen in Europa steht.

Ich hatte mir noch nie die Zeit genommen, den Text dieser Skulptur des nigerianisch-amerikanischen Künstlers Olu Oguibe zu lesen. Kein Bibelzitat, keine frommen Worte, keine Liturgie und keine Kirche. Trotzdem wurden diese Worte für mich zum Gottesdienst – im Alltag meiner Welt hier in Bochum.

„YOU HAVE THE POWER TO CHANGE THE WORLD – IHR SEID IN DER LAGE, DIE WELT ZU ÄNDERN”

Ein Aufruf an Menschen, die ihre Geschichte und ihre Lebensumstände miteinander verbindet – und an die Jugend aller Völker.

„Möget ihr lernen zusammenzuleben wie eine Menschheitsfamilie.“

Die Welt verändern, damit Menschen zusammenleben können, sicher und in Einklang miteinander, mit Verständnis und gegenseitigem Respekt, füreinander sorgend ebenso wie für den Planeten, der uns anvertraut ist.

Große Worte – viel verlangt, viel vorgenommen. Was wollten wir nicht alles schon erreichen, was an den Lebensumständen verändern, die wir schmerzlich ertragen. Im Gespräch mit meiner Tochter am Abend stellen wir fest: Manche Ziele waren und sind immer noch die gleichen, damals in meiner Jugendzeit in den 80er Jahren und heute. Gerechtigkeit, Frieden, ein achtsamer Umgang mit der Schöpfung … Was habe ich mir davon zu Herzen genommen – und was habe ich im Lauf der Jahre aus den Augen verloren? Und was bedeutet das jetzt, im Zusammenhang mit einer weltumfassenden Pandemie?

Füreinander sorgen.
Ein Anstoß dem Weiterdenken, eine Motivation, den Blick auf Wesentliches zu richten.

 

Gottesdienst im Alltag meiner Welt.
Manchmal unverhofft begegnet uns Gott.
Du ahnst es nicht, und dann hörst Du eine Botschaft:
Lass dich nicht entmutigen, bleib dran und tu das dir Mögliche.
Finde heraus, was du bewirken kannst mit deinen Gaben und Fähigkeiten.

In diesen Tagen, vergangenen Sonntag am 26. April und jetzt am 3. Mai, hatten wir geplant, mit mehreren 100 Menschen in der Lutherkirche Gottesdienst zu feiern – um 31 jugendliche Menschen zu konfirmieren und ihnen Gottes Segen dafür zuzusprechen: diese Welt zu gestalten, auch zu verändern, um im Vertrauen auf Jesus Christus Gottes Welt der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit lebendig werden zu lassen …

Die Konfirmationen mussten wir verschieben. Bis es soweit ist, dass wir endlich „Konfirmation 2020“ feiern können, möge uns diese Aufgabe weiter begleiten: Herauszufinden, was wir tun können. Drei biblische Texte für den heutigen Sonntag stecken da einen hilfreichen Rahmen ab.

Da ist zum einen Gottes gute Schöpfung. Wir sind Teil dieser Schöpfung, sind mittendrin. Das lesen wir auf den allerersten Seiten der Bibel. Die Welt ist uns anvertraut. Bevor endlich ein Menschenpaar die Welt belebt, ist bereits so viel mehr geschehen, das diesen Planeten zu einem einladenden Lebensraum gemacht hat.

Und da ist Gottes Auftrag, diese Welt zu gestalten. In enger Verbindung zu Jesus, der Gottes Menschenfreundlichkeit und Liebe verkörpert. „Ich bin der Weinstock. Ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“, sagt Jesus (Johannes-Ev. 15,5). Worte, die er an seine engsten Vertrauten, an seine Jünger gerichtet hat.

Ein Auftrag, der sich dann weiter verbreitet hat – in alle Welt. Durch Jüngerinnen und Jünger wie den Apostel Paulus. Der hat sich in Athen auf den Marktplatz gestellt und zu Menschen gesprochen, die von Jesus noch nie etwas gehört hatten. Und dabei machte Paulus eine erstaunliche Entdeckung: dass die Menschen dort eine Ahnung haben - von Gott und davon, dass sie mit ihm in Kontakt kommen können. „In ihm leben und weben und sind wir“, sagt Paulus. Also in enger Verbindung zu Gott, im Einklang mit dem, was er uns zutraut.

Frohe, belebende, motivierende, ermutigende Gottesdienste wünsche ich Euch und Ihnen – heute am Sonntag und an den Alltagen der kommenden Zeit!

Beklagenswertes

Seit Wochen schon
so vieles anders.
Was unvorstellbar schien,
ist normal geworden.
Leben auf Distanz.
Notwendige Maßnahmen,
um uns und unsere Mitmenschen
zu schützen.
Kontaktsperre und Abstandsregeln.
Wie kann uns das gelingen:
den Kontakt nicht verlieren,
trotz äußerem Abstand
die innere Nähe bewahren.
Gott,
hilf uns dabei,
dass wir uns begegnen
und trotz äußerlicher Entfernung
zueinander finden.
Lass uns dich finden,
und lass uns entdecken 
was wir tun können
hilfreich uns kreativ
für uns und unsere Welt
in dieser Zeit.

 

Mutmachendes

„Jesus Christus spricht:
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.
Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht."
(Johannes 15,5)

 

Einladung zum Gebet

Gott,
du hast uns ins Leben gerufen
Kinder, Jugendliche und Erwachsene
du kennst uns
von Anfang an
wie wir sind.

Du schenkst uns eine Welt,
in der wir unser Leben gestalten können.
Du schenkst Räume und Zeiten,
in denen wir etwas von dir ahnen,
von deiner Größe und von deiner Güte,
in der du für uns da bist.

Schenke uns wieder neu
die Sehnsucht danach,
dich zu suchen und dich zu erfahren,
gerade in dieser Zeit, 
wo wir nicht wie gewohnt
zum Gottesdienst in der Kirche
zusammenkommen.

Komm zu uns,
an den Orten,
wo wir gerade sind,
erfülle uns mit deiner Liebe
und hilf uns darauf zu vertrauen,
dass sie die Kraft hat
unsere Welt zu verwandeln 
in einen guten Ort,
an dem Respekt und Sorge füreinander
das Leben prägen.

Dies bitten wir dich durch Jesus Christus,
durch den du uns stärkst,
dass unser Glaube Früchte tragen kann
und der mit dir und dem Heiligen Geist
für die Welt da ist,
heute und in Ewigkeit.

Amen.

Gott gab uns Atem, damit wir leben, 
er gab uns Augen, dass wir uns sehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben,
dass wir auf ihr die Zeit bestehn.

Gott gab uns Ohren, damit wir hören.
Er gab uns Worte, dass wir verstehn.
Gott will nicht diese Erde zerstören.
Er schuf sie gut, er schuf sie schön.

Gott gab uns Hände, damit wir handeln.
Er gab uns Füße, dass wir fest stehn.
Gott will mit uns die Erde verwandeln.
Wir können neu ins Leben gehn.

Eckhart Bücken 1982,
aus dem Evangelischen Gesangbuch, Lied 432 

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde

Am Anfang erschuf Gott
den Himmel und die Erde.
Die Erde war noch wirr und leer,
und Dunkelheit herrschte über dem Urmeer.
Aber Gottes Geist schwebte über dem Wasser.
Da sprach Gott:
»Licht soll entstehen!«
Und es entstand Licht.
Und Gott sah, dass das Licht gut war.

... Dann sprach Gott:
»Nun wollen wir Menschen machen,
ein Abbild von uns,
das uns ähnlich ist!
Sie sollen Macht haben
über die Fische im Meer,
über die Vögel in der Luft,
über das Vieh und alle Tiere auf der Erde
und über alles, was auf dem Boden kriecht.«

So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild,
als Gottes Ebenbild schuf er sie
und schuf sie als Mann und als Frau.
Und Gott segnete die Menschen
und sagte zu ihnen:
»Seid fruchtbar und vermehrt euch!
Füllt die ganze Erde und nehmt sie in Besitz!
Ich setze euch über die Fische im Meer,
die Vögel in der Luft
und alle Tiere, die auf der Erde leben,
und vertraue sie eurer Fürsorge an.«

Weiter sagte Gott zu den Menschen:
»Als Nahrung gebe ich euch
die Samen der Pflanzen
und die Früchte, die an den Bäumen wachsen,
überall auf der ganzen Erde ...

Und Gott sah alles an,
was er geschaffen hatte,
und sah:
Es war alles sehr gut.

aus der Schöpfungsgeschichte,
1. Mose 1, 1-4 u. 26-31