Quasimodogeniti - zum ersten Sonntag nach Ostern

Quasi wie ... ?

Kurios mutet er an, der Name für den ersten Sonntag nach Ostern.
Was steckt hinter dieser fremd klingenden Bezeichnung? Irgendwas mit "Wie neu geboren ..."

Das wäre schön, wenn sich alles wie neu geboren anfühlen würde - wie ein strahlender Morgen hoch über der Erde, an dem die Sonne unsere Welt in ein faszinierendes Licht taucht.
Doch bei näherer Betrachtung stellen wir fest: Tief unter den Wolken stecken wir immer noch in der Corona Krise und müssen mit den Einschränkungen zurecht kommen: Kontaktverbot, Schutzmaßnahmen, Kurzarbeit ... Wir versuchen, unseren Alltag unter den veränderten Bedingungen zu organisieren. Mal gelingt es besser, mal ist es schwieriger. Manchmal ist die Stimmung gut, hin und wieder geht es so einigermaßen.

Ein paar Gedanken zum ersten Sonntag nach Ostern - mit himmlischen, hoffnungsvollen Segenswünschen für die zweite Woche nach Ostern und die sechste Woche mit Corona.

Ihr/Euer Pfarrer Andreas Menzel

Ich sehe was, das du nicht siehst ...

"Wir haben etwas gesehen, das du nicht gesehen hast",

das geben die versammelten Anhänger Jesu ihrem Mit-Jünger Thomas zu verstehen. Der reagiert irritiert und zweifelnd: Wenn ich das nicht selber sehe, dann glaube ich es euch nicht.

Ich kann dem Thomas diese Reaktion nicht verdenken.

Es ist schmerzlich, wenn man ein wichtiges Ereignis verpasst hat. Und wenn dann die anderen von ihrem Erlebnis erzählen, dann kann ich mich gar nicht mitfreuen, sondern empfinde es wie einen Stich ins Herz, dass sie so begeistert und voller Überschwang berichten. Ich fühle mich um so mehr außen vor.

Wo waren Sie, wo warst Du Ostern dieses Jahr?

Am passenden Ort - oder "außen vor", wo sich die österliche Freude nicht ausgebreitet hat?
"Außen vor" waren wir dieses Jahr Ostern ja alle irgendwie. Nicht in der Kirche, nicht im Familien- oder Freundeskreis, nicht an den Orten, die wir sonst an diesen festlichen Tagen besuchen.
Und es ist so, als fehlt da etwas - wir haben so vieles nicht sehen können in diesen Ostertagen.

Dass uns Corona gerade in der Osterzeit trifft, das finden viele Christinnen und Christen besonders schmerzlich. Leere, geschlossene Kirchen an den Tagen, an denen es viele von uns besonders in die Gotteshäuser zieht.

Trotzdem: Dass wir Ostern unter diesen besonderen Umständen erlebt haben, das ist eine Erfahrung, die ich gerne bewahren möchte.

Die Osterbotschaft in "un-österlicher" Atmosphäre. Vielleicht gerade passend, dass uns die österliche Hoffnungsbotschaft in einer Situation erreicht, die von Tristesse und ernster, unsicherer Stimmung geprägt ist. 

So geht es jedenfalls dem Thomas. Er ist verstört und verunsichert. Schlimm genug, dass Jesus hingerichtet wurde. Und jetzt auch noch das: Einige von den anderen Jüngern wollen den auferstandenen Jesus in ihrer Mitte gesehen haben. 

Was soll er davon halten, dass die anderen von ihrer Begegnung mit dem wieder lebendigt gewordenen Jesus erzählen? Er kann das nicht glauben. Die anderen müssen sich in eine Phantasievorstellung hineingesteigert haben. Sie wollen offenbar nicht wahrhaben, dass Jesus tot ist. Kopfschüttelnd und zweifelnd kommentiert er: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.

Ich höre diesen Zweifel nicht nur aus dem Mund des Thomas, sondern aus den Mündern vieler anderer seitdem, die die Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten gehört haben, mich eingeschlossen. Was ist das für eine Geschichte, wo etwas geschieht gegen alle Erfahrung, gegen alles, was wir sehen und begreifen können. Wie kann diese Geschichte etwas anderes sein als eine bloße Erfindung oder ein Märchen?

Für alle ebenso kritisch fragenden Menschen hat der Evangelist Johannes diese Geschichte von Thomas in sein Evangelium hinein genommen. Eine Geschichte für alle, die nach Ostern leben und die Jesus nur vom Hörensagen kennen.

Thomas war nicht dabei, als der Auferstandene den Jüngern erschienen ist. Vielleicht, weil er schon abgeschlossen hatte. Weil er einen Schlussstrich ziehen wollte unter die Geschichte mit Jesus und für sich und sein Leben einen Neuanfang suchte. Vielleicht auch, weil er das gemeinschaftliche Beweinen und das lethargische Herumsitzen hinter verschlossenen Türen nicht ertragen konnte.

Und dann hört er voller Skepsis den Bericht der anderen: Wir haben den Herrn gesehen. Thomas wehrt ab, äußert seinen Zweifel. Ich verdenke es ihm nicht. Was hätte er sonst auch sagen sollen. Aus seiner Reaktion heraus wird deutlich: Das Wunder von Ostern lässt sich nicht so einfach weitererzählen. Da gibt es einen tiefen Graben zwischen denen, die von ihrer Ostererfahrung erfüllt sind, und denen, die buchstäblich außen vor stehen.

Ich stelle mir vor, wie Thomas da in die Runde der anderen Jünger hinein tritt. Vielleicht mit einer tiefen Sehnsucht, dazu zu gehören und teilen zu können, wovon die anderen so angerührt und erfüllt sind. Aber zugleich mit Gedanken des Zweifels und der Traurigkeit. Hin- und hergerissen entscheidet sich Thomas, dass er bei den anderen bleibt - bis er acht Tage später selber zum Auferstehungszeugen wird.

Sozusagen heute, eine Woche nach Ostern.

Was mag Thomas erhofft haben? Hatte er wirklich die Erwartung, dass er die Hände Jesu mit den Nägelwunden sehen würde, um dann auch noch den verletzten Körper Jesu zu berühren?

Der kritische Zweifel des Thomas ist begleitet von der tiefen Sehnsucht, doch noch zu erleben und zu teilen, wovon die anderen bereits erfüllt waren.
Ich denke, auch darin ist Thomas typisch für alle Menschen, die nach Ostern leben.
Einerseits schütteln wir den Kopf und sagen: Nein, das kann doch nicht sein. Die spinnen ja!
Und andererseits stehen wir mit offenem Mund da und staunen über Menschen, die ein tiefes Vertrauen im Herzen haben und die nichts erschüttern kann, die auf unglaubliche Weise durch tiefe Krisen ihres Lebens hindurchgegangen sind und Wege gefunden haben, die für sie Hoffnung und Zukunft bedeuten.

Die nicht nur glauben, was sie sehen, die nicht das Elend und die Not unserer Welt für die einzige Wirklichkeit halten. Die nicht das Sichtbare für das Maß aller Dinge halten, weder Geld noch Macht noch Ruhm, sondern die scheinbar bescheiden und demütig dem vertrauen, der für viele im Verborgenen bleibt.

Johannes, der Evangelist, erzählt weiter: Da kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: „Friede sei mit euch“, und er wendet sich dem Thomas zu und fordert seinen Zweifel geradezu heraus: Sieh meine Hände und lege deine Hand in meine Seite – und sei nicht ungläubig, sondern gläubig.

Am Ende, da wirkt es auf mich so, als sei Thomas selber über seine Forderung erschrocken: kein Wort mehr davon, die Wundmale zu sehen und die Hand in die Seite zu legen, nur noch erstauntes Bekennen: „Mein Herr und mein Gott.“ Thomas ist überwältigt. Damit hat er nicht gerechnet. Wohl eher damit, dass nichts passiert, dass kein Auferstandener erscheint, und dass nach und nach alle wieder ganz nüchtern und bescheiden werden. Seine Zweifel sind ausgeräumt, er durfte sehen und er darf teilhaben an der Erfahrung der anderen und glaubt an den Auferstandenen. Das unterscheidet Thomas von uns anderen, die sich auch  nach der Begegnung mit dem Auferstandenen sehnen. Er war dabei. Er hat ihn gesehen. Wir sind, wir bleiben die Nicht-sehenden.

Diese Geschichte am Ende des Johannesevangeliums eröffnet gerade uns Nicht-Sehenden allerdings eine neue, hoffnungsvolle Perspektive. Denn der letzte Satz ist im Grunde an uns gerichtet:

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Ein Jesus-Wort, das uns Mut machen will, sich auf das Wagnis des Glaubens einzulassen.
Da ist so viel zwischen Himmel und Erde, da ist so viel um uns und in uns, was wir nicht sehen,
was noch verborgen ist,
und entdeckt und belebt werden will:
unser Leben, unser Herz, unser Fühlen, unser Vertrauen, unsere Liebe – unsere Hoffnung.

Die österliche Hoffnung kommt auf geheimnisvolle Weise zu den Menschen – sozusagen durch verschlossene Türen.

So viele Türen müssen geschlossen bleiben in dieser österlichen Zeit, weil wir uns vor den Gefahren durch Corona schützen müssen.

Möge durch diese verschlossenen Türen hindurch die österliche Hoffnung und Freude zu uns kommen: in verschlossene und traurige Herzen hinein, dass sie geöffnet werden, von Hoffnung belebt und erleuchtet, durch Gottes Geist der unter uns lebendig ist seit Ostern.

 

Impulse zu den vergangenen Sonn- und Feiertagen

Beklagenswertes

Wie neu geboren soll alles seit Ostern sein,
erfüllt vom Wunder der Auferstehung.
Doch unsere Wirklichkeit fühlt sich anders an:
kein Schweben auf Wolke sieben,
sondern bodenständig und zweifelnd
suchen wir Orientierung.

Wie neu geboren fühlen wir uns,
wenn alles gut ist, die Sonne scheint und das Leben aufblüht.
Doch das Klima ist umgeschlagen. 
Es macht uns müde und matt,
bleiern schwer liegt die Last von Verantwortung und Sorgen auf uns.

Klagend wenden wir uns zu Gott
und rufen ihn an:
Kyrie, guter Gott, erbarme dich!

Mutmachendes

„Siehe, ich mache alles neu.
Ich bin der Anfang und das Ende,
ich will dem Durstigen geben
von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“

So verspricht er, der Lebendige, uns zu stärken,
hier und jetzt
in unserem kleinen, alltäglichen Leben.
Er ist da, mitten im Heute,
ist Quelle und Licht
und bringt den Augenblick zum Leuchten.

Einladung zum Gebet

Gott
auf deine Zusage hin
wollen wir es versuchen
glauben und vertrauen
trotz aller Zweifel
mit allen Sorgen
mit unseren Belastungen
neu beginnen
heute
glaubend
an einen Anfang mit dir
getragen und frei
im Vertrauen
auf Christus 
durch den du für uns da bist
und in unserer Mitte lebendig bist
immer und ewig
Amen.

Eine Woche nach Ostern - war alles nur einen Traum?

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! [...]

24 Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben.

26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

aus Johannes 20